Das Garantierte Kindergrundeinkommen

Eine sozial gerechte und notwendige Investition in die Zukunft

In Deutschland ist jede fünfte Familie alleinerziehend. Es leben 2,3 Millionen Kinder unter 18 Jahren in alleinerziehenden Familien. Nach wie vor sind es überwiegend die Frauen/Mütter (rund 90%), die als alleinerziehender Elternteil mit ihren Kindern zusammenleben. Viel gelingt – aber viele alleinerziehende Familien stoßen auch an ihre Grenzen. Das ist angesichts der Rahmenbedingungen, die ihnen unsere Gesellschaft bietet, auch kein Wunder.

Leider müssen wir festhalten, dass gerade diese Familienform als besonders armutsgefährdet gilt. Seit 2005 hat sich sogar das Armutsrisiko von alleinerziehenden Familien erhöht. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Erwerbstätigenquote gerade bei alleinerziehenden Frauen gleichbleibend hoch bzw. sogar leicht angestiegen ist.

Ein paar Zahlen: Im November 2015 waren 1,92 Millionen Kinder und Jugendliche in ALG II-Bezug – davon mehr als die Hälfte (968.750) in Alleinerziehenden-Haushalten. Alleinerziehende Familien sind unabhängig von den regionalen Bedingungen armutsgefährdet – egal ob Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern oder NRW.

Obwohl mehr als drei Viertel der alleinerziehenden Mütter (78%) in Deutschland über einen mittleren bis hohen Bildungsabschluss verfügen, und sechs von zehn alleinerziehenden Müttern erwerbstätig sind, ist das Zugangs- und Verbleiberisiko dieser familialen Lebensform in Armutslagen seit 2005 um 6,6 % angestiegen, während es für Paare mit zwei Kindern um 11,7% gesunken ist.

Wie passt das alles zusammen? Alleinerziehende Mütter sind häufig in schlecht bezahlten Jobs teilzeitbeschäftigt. Der Unterhalt für die Kinder vom anderen unterhaltspflichtigen Elternteil fließt oft nur bis zur Höhe des Mindestunterhalts, spärlich bzw. unregelmäßig und allzu häufig auch gar nicht. Das Erwerbseinkommen, das alleinerziehende Mütter mit ihrer Beschäftigung erzielen, reicht oft nur um die eigene Existenz bestreiten zu können, aber nicht zur Existenzsicherung der Familie. Damit wird die Alleinerziehende zur „Aufstockerin“ im ALG II-Bezug und verbleibt dort so lange bis sich Einkommens- und/oder Familiensituation signifikant ändern.[1]

Wir wissen: Teilhabe- und Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen sinken mit dem verfügbaren Nettoeinkommen im Haushalt. So heißt es in der Studie „Kinder.Armut.Familie.“: „Familienpolitik bzw. Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut setzen bisher zu wenig (…) an kindliches Wohlbefinden sowie Teilhabechancen von Kindern an. Vielmehr sind Familien- und Sozialpolitik in Deutschland an den Erwerbsstatus der Eltern bzw. die Familienform geknüpft – Kinder geraten dabei vielfach strukturell aus dem Blick (…). Denn Kinderarmut wirksam zu bekämpfen und allen Kindern faire Teilhabe- und Bildungschancen zu eröffnen heißt allen Kindern zumindest durchschnittliche Möglichkeiten und Ressourcen zu gewährleisten. Daran müsste sich eine gesellschaftliche Bestimmung des Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen orientieren.“ (Zsf. Kinder.Armut.Familie., S. 34f)

Der Siebte Familienbericht hält fest, dass Familien zur Unterstützung und Rahmung ihrer vielfältigen und für die Gesellschaft unverzichtbaren Leistungen einen stimmigen Dreiklang aus Zeit – Infrastruktur –  Geld brauchen. Ein Baustein/“guter Ton“ dafür wäre das Garantierte Kindergrundeinkommen nach dem Modell der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), bei dem ein „Mehr“ an Solidarität mit individueller Freiheit und Selbstbestimmung Hand in Hand gehen kann.
Obwohl eine Zielrichtung des Kindergrundeinkommens auch die Bekämpfung von Kinderarmut ist, ist es weniger „defizitorientiert“, denn im Vordergrund steht der „Ermöglichungscharakter“. Die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft bemisst sich nicht zuletzt daran, welche Perspektiven und Zukunftschancen sie ihren Kindern gibt.

Wie bei jedem Modell bzw. jeder Veränderung im System ist zu fragen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das Kindergrundeinkommen für alleinerziehende Familien unterstützend und entlastend wirkt. Das Garantierte Kindergrundeinkommen hat vier elementare Komponenten, die in Bezug auf Kinder von alleinerziehenden Familien als wichtige Voraussetzungen gelten können: Das Garantierte Kindergrundeinkommen ist individuell garantiert, es wird ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit bzw. Gegenleistung gezahlt und es ist in seiner Höhe existenz- und teilhabesichernd. Das Garantierte Kindergrundeinkommen ist also

  • individuell garantiert – anspruchsberechtigt ist das Kind bzw. der/die Jugendliche, d. h. dort wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, kommt das Geld auch direkt an
  • ohne Bedürftigkeitsprüfung – gleiches Geld für alle Kinder/Jugendlichen unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern; keine Stigmatisierung durch „Hilfebedürftigkeit“
  • ohne Zwang zur Arbeit, ohne Gegenleistung – ist auch und gerade bei Kindern und Jugendlichen nicht an irgendwelche Leistungen gebunden
  • existenz- und teilhabsichernd – für Kinder und Jugendliche muss die Höhe deutlich die Leistungen nach SGB II oder XII übersteigen bzw. die Höhe muss oberhalb der Armutsgefährdungsquote liegen (mind. 60% des mittleren Äquivalenzeinkommens[1])

Gerade für alleinerziehende Familien eröffnen sich dadurch neue Perspektiven: Der häufig hochstrittige Kindesunterhalt wäre kein Zankapfel mehr zwischen den Eltern und würde damit auch die Kinder deutlich weniger belasten. Alleinerziehende Mütter oder Väter müssten nur noch ein (Erwerbs-)Einkommen erzielen, dass ihre eigene Existenz absichert. Dadurch würde nicht nur die Armutsgefährdung von (alleinerziehenden) Familien sinken, sondern gleichzeitig auch freie Ressourcen (besonders Zeit!) für das gemeinsame Familienleben gewonnen werden.

Die zeitnahe Einführung eines Garantierten Kindergrundeinkommens ist eine sozial gerechte und notwendige Investition in die Zukunft. Es ist ein wesentlicher Beitrag zur Herstellung von Generationengerechtigkeit, weil es nicht einseitig den Nutzen von Kindererziehung vergesellschaftet und die Kosten privatisiert. Gleichzeitig würde das Garantierte Kindergrundeinkommen die Unübersichtlichkeit und Unzulänglichkeit der kindbezogenen Instrumente der Existenzsicherung und Förderung vereinfachen und gerechter machen. Eltern müssten nicht mehr zwischen Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Sozialgeld, Unterhaltsvorschuss etc. und den entsprechenden Verwaltungsstellen lavieren.

Das Garantierte Kindergrundeinkommen hätte eine Höhe von 515 Euro/monatlich (Stand: Nov. 2016). Anspruchsberechtigt wären alle Kinder, Jugendlichen und junge Erwachsene analog der aktuellen Kindergeldberechtigung. Es entfallen: Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, kindbezogene Leistungen im Sozialgeld und bei den KdU, Unterhaltsvorschuss, Ausbildungsfreibetrag, z. T. BAFöG. Es bleiben: ggf. Wohngeldanspruch – Forderung nach einer kostenfreien Bildungskette – Forderung nach einem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur für Kinder und Familien.

Annette Seier

 

[1] Das Äquivalenzeinkommen ist ein auf der Basis des Nettoeinkommens berechnetes bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied.

[1] Folgende Studien und Quellen habe ich für meine Recherchen zugrunde gelegt:

Sabine Andresen/Danijela Galic, Kinder.Armut.Familie. Alltagsbewältigung und Wege zu wirksamer Unterstützung, Gütersloh 2015
Anne Lenze/Antje Funcke, Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf, Gütersloh 2016
Sabine Hübgen, Armutsrisiko Alleinerziehend in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 30-31/2017

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